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Interview

„Die Bürger am Aufbau beteiligen“

Der Bürgermeister von Braunsbach, Frank Harsch (Foto: Ruediger Lutz)

In der Gemeinde Braunsbach im Landkreis Schwäbisch Hall ist kaum noch etwas wie es war, seit eine Sturzflut Ende Mai 2016 den Ort in eine Geröllfeld verwandelt und Schäden in Höhe von über hundert Millionen Euro verursacht hat. Zwischenzeitlich ist der Wiederaufbau angelaufen, den Bürgermeister Frank Harsch zusammen mit den betroffenen Einwohnern planen und gestalten will. „Eine solche Beteiligung sollte Standard sein, wir haben bisher nur gute Erfahrungen damit gemacht“, sagt er.

Herr Harsch, die Flutkatastrophe vom 29. Mai 2016 hat das Leben in Braunsbach fundamental verändert. Wo steht die Gemeinde heute?
Frank Harsch: Zunächst einmal vor einem riesigen Berg Arbeit, das muss man einfach so sagen. Und das betrifft nicht nur das öffentliche Leben in der Gemeinde, also die Straßen, Plätze und Einrichtungen. Auch die meisten Bürger haben noch einen ganzen Berg Arbeit vor sich. Viele Häuser sind nach wie vor nur provisorisch gerichtet und müssen saniert werden. Insofern sind wir noch immer im Katastrophenmodus, auch wenn die ersten Läden wieder geöffnet haben und wenn das Leben zurückgekehrt ist. 

Wie lang werden die Spuren des Unglücks noch zu sehen sein?
Frank Harsch:
Der Wiederaufbau unseres Ortes, und nichts anderes müssen wir hier gemeinsam bewerkstelligen, wird aus heutiger Sicht wohl vier, fünf Jahre dauern. Alleine die Sanierung der Straßen und Kanäle ist bisher mit sieben Millionen Euro veranschlagt, was zeigt, um welche Dimensionen es geht. Dazu kommen noch etliche andere Bauprojekte wie der Marktplatz, unsere Sporthalle, die Ufermauer am Orlacher Bach und diverse Brückenbauten. Und natürlich die vielen privaten Wohnhäuser, die teilweise schwer beschädigt worden sind. Braunsbach wird auf absehbare Zeit eine riesige Baustelle sein.

In solch einem Katastrophenfall rücken die Menschen üblicherweise enger zusammen. Ist das auch in Braunsbach passiert?
Frank Harsch: Die Sturzflut hat vieles verändert in unserer Gemeinde, auch die Art und Weise des Zusammenhalts, der in den Tagen nach dem Unglück phänomenal war und bis heute anhält. Auch die Hilfsbereitschaft von allen Seiten war und ist enorm. Schon kurz nach dem Unglück haben wir von überall her Essen, Schaufeln, Schubkarren, Getränke und einiges mehr angeboten bekommen. An Spitzentagen waren Hunderte von Ehrenamtlichen da, die einfach gekommen sind und Schlamm aus wildfremden Häusern geschippt haben. Und auch die Baufirmen sind sofort mit voller Mannschaft und allem Gerät angerückt, nachdem wir sie angerufen haben. Wir haben Angebote aus ganz Deutschland bekommen: Notstromaggregate, Pumpen, Fahrzeuge – alles wurde bereitgestellt. Auch heute noch müssen wir nur anrufen, wenn wir etwas brauchen. Das ist schon eine unglaublich positive Erfahrung, die einem die Kraft gibt, die ganze Arbeit zu bewältigen und den Wiederaufbau zu schaffen.

Einen Wiederaufbau, den Sie in Braunsbach ausdrücklich gemeinsam planen und gestalten wollen, also zusammen mit den Einwohnern. Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit dieser Form der Bürgerbeteiligung gemacht?
Frank Harsch: Also zunächst einmal bin ich überzeugt davon, dass eine solche Beteiligung heutzutage Standard sein sollte. Die Zeit der Eliten, die alleine in ihrer Kammer entscheiden, was gemacht wird, ist lange vorbei. Wir haben zwischenzeitlich viele gut besuchte Bürgerversammlungen abgehalten und es werden noch zahlreiche weitere folgen. Es sind dabei wirklich viele gute Vorschläge gemacht worden und auch Ideen und Anregungen von Bürgern gekommen, auf die eine Gemeindeverwaltung nicht so einfach kommen kann. Unsere Erfahrungen mit der Beteiligung der Bürger sind daher sehr gut. Allerdings ist es meiner Ansicht nach wichtig, von Beginn an klarzumachen, dass nicht alles umgesetzt werden kann, was besprochen wird. Bürgerbeteiligung bedeutet nicht, dass jeder Wunsch erfüllt wird. Letztlich muss bei aller Beteiligung der Gemeinderat entscheiden, was gemacht wird. Die Entscheidungsgrundlage ist aber viel breiter, vielseitiger und auch fundierter, wenn sie gemeinsam erarbeitet wurde.

Fällt dann hinterher auch die Akzeptanz für die Entscheidung größer aus?
Frank Harsch:
Davon bin ich absolut überzeugt. Wir haben für den Prozess einen erfahrenen Moderator engagiert, der die Regeln von Beginn an klar gemacht hat. Was geht und was nicht geht. Das ist wichtig, damit sich keine falschen Erwartungen verfestigen und die Enttäuschung hinterher groß ist. Wenn das geklärt ist, profitieren wirklich alle davon. Es ist wichtig, die Menschen auf diese Weise mitzunehmen, ihnen zu ermöglichen, ihre Ideen einzubringen und ihnen genau zu erklären, was es für Folgen hat, wenn die Bagger kommen. Beispielsweise müssen im Zuge der Straßensanierung auch manche Hausanschlüsse neu gemacht werden, was die Eigentümer aber selber tragen müssen. So etwas muss rechtzeitig vermittelt und gegebenenfalls diskutiert werden. Das Schlimmste wäre, wenn hinterher jemand kommt und sagt: Warum habt ihr mich nicht gefragt? Genau das darf nicht passieren.

Was fragen Sie ihre Bürger denn?
Frank Harsch: Wie sie sich den neuen Marktplatz vorstellen beispielsweise und wofür sie ihn gerne nutzen würden. Die Interessen sind dabei durchaus unterschiedlich. Auf der einen Seite gibt es die Händler, die ihre Marktstände dort aufstellen wollen und dafür entsprechend Platz und Infrastruktur brauchen.  Gleichzeitig soll es eine ausreichende Zahl an Parkplätzen geben. Und es haben sich nicht wenige Bürger zu Wort gemeldet, die sich Parkbänke und ähnliches wünschen, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern. All das müssen wir unter einen Hut bekommen. Oder nehmen Sie unsere Sporthalle, die schwer beschädigt wurde. Ein Teil der Bürger hat sich für die Sanierung der alten Halle ausgesprochen, wofür die Versicherung aufkommen würde. Dazu ist aber die Idee einer neuen Mehrzweckhalle an einem anderen Ort entwickelt worden, für die wir viel Geld aufbringen müssten. All diese Themen in einzelnen Projektgruppen aufzubereiten und zu diskutieren ist ein sehr guter Weg, den ich aufgrund der bisher gemachten Erfahrungen nur empfehlen kann. Es sind dabei bisher etliche qualitativ hochwertige Vorschläge herausgekommen und auch einfache pragmatische Lösungen, etwa ein provisorischer Flußübergang aus großen Steinen. 

Dann wird Braunsbach auf diesem Weg noch schöner und lebenswerter, als es die Gemeinde vor der Flut war?
Frank Harsch: Wir schauen jedenfalls nach vorne und es gibt hier keinen Frust. Der Wiederaufbau wird von vielen Chancen und Visionen begleitet, so sehen wir das zwischenzeitlich. Natürlich ist die Belastung bei einem Gesamtschaden von über hundert Millionen Euro enorm. Das ist ein großer Batzen, den eine kleine Gemeinde nicht stemmen kann. Daher sind wir sehr dankbar über die Unterstützung, die vielen kleinen und großen Spenden, die wir aus ganz Deutschland bekommen haben. Insgesamt sind private Spenden von über zwei Millionen Euro eingegangen. Und noch heute kommen Briefe von Menschen die schreiben, dass sie Geld überwiesen haben. So können wir versuchen, den privaten Schaden der Bürger etwas abzumildern. Gleichzeitig sind wir zu jedem Zeitpunkt schnell, unbürokratisch und nachhaltig vom Landkreis unterstützt worden. Diese Hilfe haben wir zudem auch vom Regierungspräsidium Stuttgart und der Politik erfahren. Ohne das Sonderförderprogramm des Landes und die schnelle Soforthilfe wären wir verloren gewesen. Wir werden niemals vergessen, wie gut die kommunale Familie hier zusammengearbeitet hat.

Zur Person

Frank Harsch ist seit 2004 Bürgermeister der Gemeinde Braunsbach mit seinen rund 2500 Einwohnern im Landkreis Schwäbisch Hall. Im Jahr 2012 wurde der 46-jährige Diplom-Betriebswirt (FH, Master of public management) in seinem Amt bestätigt. 

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