Mehrere Kinder stehen nebeneinander in einem Kindergarten. (Bild: © Christian Charisius/dpa)

Teilhabe

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Das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg hat die FamilienForschung Baden-Württemberg (FaFo) im Statistischen Landesamt beauftragt, eine Studie zu Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg zu erstellen. Über das Beteiligungsportal Baden-Württemberg hatten alle Bürgerinnen und Bürger im Herbst 2020 die Möglichkeit, sich an der Erstellung der Studie aktiv zu beteiligen. Gefragt wurde, wo besonderer Handlungsbedarf gesehen wird, um Kinder, Jugendliche und deren Familien in ihren Teilhabe- und Verwirklichungschancen zu stärken, und welche guten Projekte oder Praxisbeispiele bekannt sind, die das bereits realisieren.

Über 30 ausführliche Rückmeldungen sind über das Portal eingegangen.

Herzlichen Dank für die rege Beteiligung!

Im Folgenden stellen wir eine anonymisierte Zusammenfassung der Ergebnisse der Bevölkerungsbeteiligung dar. Es handelt sich um eine reine Zusammenfassung der Beiträge. Zum jetzigen Zeitpunkt findet keine Bewertung oder Prüfung der Beiträge durch das Ministerium für Soziales und Integration statt. Sie fließen jedoch in die Erstellung der Studie zu Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg, die voraussichtlich im zweiten Quartal 2021 veröffentlicht wird, und in die weiteren Überlegungen des Ministeriums mit ein.

Ansprechpartner bei Rückfragen und weiteren Anregungen:

Michael Wolff, Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg,
E-Mail: Armutspraevention@sm.bwl.de.

Definition von zentralen Begriffen

„Soziale Teilhabe“ ist ein mehrdimensionales Konzept. In dieser Studie sollen die Dimensionen materielle Versorgung, Bildung und Versorgung im kulturellen Bereich, Situation im sozialen Bereich und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sowie psychische, physische Lage und Gesundheit betrachtet werden. Soziale Teilhabe orientiert sich an den Lebensbedingungen, die in unserer Gesellschaft in den einzelnen Dimensionen gegenwärtig als übliches Mittelmaß betrachtet werden.

„Armutsgefährdung“ beschreibt dagegen einen Mangel an Teilhabe- und Verwirklichungschancen. Eine materielle Armutsgefährdung wirkt sich meist auch negativ auf andere Lebensbereiche aus, wie zum Beispiel Bildung, Gesundheit, Beteiligung, und so weiter. Im Jahr 2018 waren 19 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Baden-
Württemberg armutsgefährdet. Mit der Strategie „Starke Kinder – chancenreich“ will das Ministerium für Soziales und Integration dazu beitragen, dass sich Armutsgefährdung im Kindesalter nicht nachteilig auf die Teilhabechancen im gesamten weiteren Leben auswirkt.

Zusammenfassung der Ergebnisse der Online-Beteiligung

In den Rückmeldungen der Bürgerinnen und Bürger wurden Gründe für Armutsgefährdung und Problemstellungen genannt, aufgrund derer Familien in ihren Teilhabechancen eingeschränkt werden. Die Beiträge wurden in zehn Aspekten zusammengefasst:

  • Die finanziellen Grundlasten für eine Familie, wie zum Beispiel GEZ-Gebühren, Behördenkosten bei Geburt, Kinderbetreuungskosten, Versicherungen, Lebenshaltungskosten inklusive Wohnkosten, Telefonkosten, stehen in keinem guten Verhältnis zum Haushaltseinkommen, insbesondere bei Ein-Eltern-Familien und Familien mit mehr als zwei Kindern.
  • Staatliche Kompensationsleistungen, wie zum Beispiel das Kindergeld, sind zu niedrig und Steuerfreibeträge bringen vor allem für besserverdienende Familien Entlastung.
  • Sozialleistungen, von denen insbesondere armutsgefährdete Familien profitieren, wie zum Beispiel Kinderzuschlag, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss, sind für die Familien und die Behörden mit einem hohen Bürokratieaufwand verbunden: unterschiedliche Anträge bei unterschiedlichen Behörden für dieselbe Zielgruppe. Insbesondere die Beantragung von Leistungen des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets wird als aufwendig wahrgenommen.
  • Aufgrund von fehlenden Informationen, Scham oder Angst vor Stigmatisierung werden Sozialleistungen nicht abgerufen oder vorhandene soziale Dienstleistungen nicht genutzt.
  • Viele Familien leben auf beengtem Wohnraum, weil zu wenig bezahlbarer beziehungsweise Sozialwohnraum zur Verfügung steht. So hat nicht jedes Kind ein eigenes Zimmer, also nicht einen geeigneten Rückzugsraum, um sich frei entfalten zu können, und auch nicht genügend Platz für einen eigenen Schreibtisch, um auch zu Hause lernen zu können.
  • In Quartieren, in denen viele armutsgefährdete Kinder leben, gibt es häufig wenig Angebote der Freizeitgestaltung.
  • Freizeitangebote sind häufig mit hohen Kosten wie zum Beispiel Vereinsbeiträgen verbunden und so für viele Kinder und Jugendliche aus armutsgefährdeten Familien nicht zugänglich.
  • Kinder in Überschuldungshaushalten erleben eine extreme Form von Armut. Die Überschuldung führt wegen schlechter Ernährung und fehlender finanzieller Möglichkeiten zur Förderung der Kinder zu Gesundheitseinschränkungen und fehlenden Zukunftsperspektiven.
  • Bei der Mittagsverpflegung in Schule und Kita oder bei Freizeitveranstaltungen und Jugenderholungsmaßnahmen muss so sehr gespart werden, dass eine gesunde Ernährung der Kinder und Jugendlichen nicht möglich ist. Das wirkt sich langfristig negativ auf die persönliche Gesundheit der Kinder und Jugendlichen aus. „Man ist, was man isst…“
  • Kommunen versuchten ihre Schuldenlast zu kompensieren, indem sie bei kommunalen Angeboten für Kinder und Jugendliche und für eine kind- und jugendgerechte Mitbestimmung sparen.

Die genannten Armutsgefährdungsgründe und Problemstellungen deuten bereits einen Handlungsbedarf an, um die Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Darüber hinaus wurden konkrete Handlungsansätze und Gelingensfaktoren von den Teilnehmenden benannt. Auch diese Beiträge wurden in zehn Aspekten zusammengefasst:

  • Familien benötigen eine zentrale Anlaufstelle mit langen Öffnungszeiten für alle Fragen, die sich rund um die Familie und insbesondere bei geringen finanziellen Mitteln stellen.
  • Häufig gibt es vor Ort mehr Beratungsangebote und Unterstützungsmöglichkeiten als man kennt. Es ist daher wichtig, sich darüber zu informieren, was für die eigene Situation passend ist, diese in Anspruch zu nehmen und so auf fehlende Ressourcen zurückgreifen zu können. In scheinbar ausweglosen Situationen können so „neue Türen aufgehen“.
  • Es darf kein Parallelsystem für Kinder aus armutsgefährdeten oder benachteiligten Familien entstehen. Kommunale Infrastrukturangebote und Freiwilligkeitsleistungen, die für Familien relevant sind, sollten daher für alle Familien, unabhängig davon, welchen finanziellen Hintergrund sie haben, kostengünstig sein und zum Beispiel in einer FamilienCard zusammengefasst werden.
  • Nur mit kostenlosen Angeboten für Kinder und Jugendliche ist es nicht getan. Es muss erstens auch geprüft werden, ob diese Angebote eine positive Wirkung erzielen, und zweitens nachverfolgt werden, warum Kinder (trotzdem) nicht kommen bzw. sich abmelden und nicht mehr kommen etc.
  • Fachkräfte insbesondere von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, der Jugendhilfe, aber auch in der öffentlichen Verwaltung, sollten für einen armutssensiblen Umgang geschult werden, damit sie Diskriminierung erkennen und nicht stigmatisierende Handlungsalternativen anwenden können.
  • Es besteht Schulungsbedarf von Fachkräften im Bildungs- und Betreuungswesen sowie der Jugendhilfe hinsichtlich Themen wie zum Beispiel Gesundheitsförderung, Sexualität, psychische Entwicklung, Gewalt und (Cyber-)Mobbing, Medienkonsum etc.
  • Um Kinder und Jugendliche zu erreichen, müssen Informationen über altersgerechte Wege verbreitet werden. Dazu gehört auch der Einsatz von Social-Media-Plattformen, aber auch von YouTube und weiteren modernen Kommunikationskanälen. Es ist wichtig, Kinder und Jugendliche an ihren Belangen zu beteiligen, Meinungen zu erfragen, gemeinsam mit ihnen zu diskutieren und nach Alternativen zu suchen. Beteiligung ist ein Kinderrecht. Es ist aber auch wichtig, individuell auf unterschiedliche Bedürfnisse und Belastungen einzugehen und so eine bestmögliche Unterstützung zu gewährleisten.
  • Eine fundierte wissenschaftliche Forschung zur Lebenslage von Kindern in überschuldeten Haushalten wäre erforderlich, um konkrete nachhaltige Angebote zu schaffen.
  • Jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, ein Musikinstrument zu lernen. Dazu gehört, dass es kostenlose/-günstige Angebote gibt und ein entsprechendes Instrument kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Das bringt Kinder auch für ihr Leben voran, denn man muss hart und ausdauernd üben.

Herzlichen Dank für Ihre Beteiligung!

Zusammenfassung der Ergebnisse der Bevölkerungsbeteiligung zur Studie zu Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg (PDF)