Öffentlichkeitsbeteiligung durch Verwaltungen ist mittlerweile Alltag in jedem Winkel des Landes. Das zeigt die Evaluation der Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeitsbeteiligung, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Staatsrätin Gisela Erler heute vorgestellt haben. Die Politik des Gehörtwerdens wirkt.
Die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Gisela Erler, hat im Ministerrat die Evaluation der vor gut drei Jahren in Kraft getretenen Verwaltungsvorschrift (VwV) Öffentlichkeitsbeteiligung vorgestellt, die vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer durchgeführt wurde. In einem ersten Schritt wurde der tatsächliche Personalaufwand zur Umsetzung der VwV Öffentlichkeitsbeteiligung ein Jahr nach Inkrafttreten evaluiert.
Musterland der Beteiligung
„Die Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeitsbeteiligung ist ein zentraler Baustein für mehr Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg. Wir sind damit bundesweit zum Musterland der Beteiligung geworden“, betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Öffentlichkeitsbeteiligung ist inzwischen Alltag in jedem Winkel des Landes.“
Im Erhebungszeitraum Oktober 2014 bis Dezember 2015 wurden in den vier Regierungspräsidien des Landes 145 Verfahren im Rahmen der Evaluation erfasst. 81 davon im Bereich Straßenbau und 64 im Bereich der Gewässer. Bei rund zwei Dritteln der evaluierten Projekte war das Land Vorhabenträger, sie fielen somit in den unmittelbaren Anwendungsbereich der VwV Öffentlichkeitsbeteiligung. „Für die Umsetzung der Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeitsbeteiligung wurden in allen vier Regierungspräsidien zusammen 10,45 Personalstellen als erforderlich ermittelt. Damit liegt der tatsächliche Aufwand nur äußert geringfügig über den hierfür bewilligten neun Stellen im Staatshaushaltsplan. Die ursprünglichen Befürchtungen, dass ein enormer Stellenaufwuchs notwendig wird, sind bisher nicht eingetreten“, sagte Staatsrätin Gisela Erler.
Öffentlichkeitsbeteiligung auch in weiteren Bereichen
„Die Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeitsbeteiligung strahlt auch über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus“, so Erler. So würden die Regierungspräsidien deren Grundsätze aufgrund der positiven Erfahrungen auch in anderen Bereichen, wie beispielsweise bei der Bundesauftragsverwaltung, sinngemäß anwenden. 42 der 145 evaluierten Projekte wurden im Auftrag des Bundes durchgeführt. „Bei Aufgaben der Bundesauftragsverwaltung gaben die Regierungspräsidien an, 7,81 Personalstellen für die Öffentlichkeitsbeteiligung einzusetzen“, sagte die Staatsrätin.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regierungspräsidien erstellten in den ermittelten Personalstunden beispielsweise Informationsmaterialien, Präsentationen der Vorhaben für Gemeinderäte und Bürgerversammlungen oder organisierten Sitzungen von Projektbeiräten oder Runden Tischen. Etwas mehr als ein Drittel des Aufwands fiel für allgemeine Leitungs- und Koordinierungstätigkeiten an. „Je nach Verfahren ist der Arbeitsaufwand natürlich sehr unterschiedlich“, so die Staatsrätin. Häufig würden wenige, meist sehr große Projekte den überwiegenden Teil der Personalstunden ausmachen. Für die Hochwasserschutzmaßnahmen in Breisach wurden beispielsweise 154,4 Stunden pro Monat für die Öffentlichkeitsbeteiligung ermittelt. Für den Neubau der B30 von Ravensburg nach Friedrichshafen 151 Stunden pro Monat. Und für die „Naturnahe Umgestaltung des Neckars beim Freibad in Tübingen“ sind nur 55 Stunden im Jahr angefallen. „Bei vielen Verfahren liegt der Aufwand bei weniger als zehn Stunden im Monat“, sagte die Staatsrätin.
Kulturwandel auf allen Verwaltungsebenen
„Wir sehen insgesamt einen klaren Kulturwandel auf allen Verwaltungsebenen hin zu mehr Öffentlichkeitsbeteiligung“, betonte der Ministerpräsident. „Das liegt sicherlich auch daran, dass nirgendwo sonst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so konsequent Fortbildungsangebote für bessere Bürgerbeteiligung unterbreitet werden wie in Baden-Württemberg.“ Neben Einführungsqualifizierungen für den mittleren und höheren Dienst der Landesverwaltung biete das Land zusammen mit der Führungsakademie Baden-Württemberg und der Allianz für Beteiligung eine Vielzahl von Seminaren zur Öffentlichkeitsbeteiligung auch für zivilgesellschaftliche Organisationen an.
Gisela Erler ergänzte: „Informelle Verfahren haben einfach unschätzbare Vorteile. Denn in den reinen Verwaltungsverfahren verstecken sich die wahren Interessen oft hinter den rechtlichen und naturfachlichen Vorgaben. Mit der informellen Beteiligung gelingt es, über die anfangs oft noch versteckten Motive der Menschen in den Dialog zu kommen. Oft stellen wir fest, dass auch alte lokale Konflikte nachwirken.“ In einer zweiten Stufe der Evaluation werde daher auch untersucht, inwieweit die VwV Öffentlichkeitsbeteiligung inhaltliche Wirkungen entfalte. Mit Ergebnissen wird Ende 2019 gerechnet.
Personalaufwand für die Öffentlichkeitsbeteiligung
In Abstimmung mit den Personalvertretungen wurde die Zeiterfassung genutzt, um die Arbeitsaufwände speziell für die Bürgerbeteiligung zu erheben. Es haben sich im Detail folgende Werte ergeben:
Regierungspräsidium Freiburg
- nach VwV Öffentlichkeitsbeteiligung: 5,03 Normstellen
- in Bundesauftragsverwaltung: 1,65 Normstellen
Regierungspräsidium Karlsruhe
- nach VwV Öffentlichkeitsbeteiligung: 3,30 Normstellen
- in Bundesauftragsverwaltung: 1,31 Normstellen
Regierungspräsidium Stuttgart
- nach VwV Öffentlichkeitsbeteiligung: 0,66 Normstellen
- in Bundesauftragsverwaltung: 1,65 Normstellen
Regierungspräsidium Tübingen
- nach VwV Öffentlichkeitsbeteiligung: 1,46 Normstellen
- in Bundesauftragsverwaltung: 3,20 Normstellen
Insgesamt waren es nach VwV Öffentlichkeitsbeteiligung 10,45 und in Bundesauftragsverwaltung 7,81 Normstellen. Eine Normstelle entspricht 140,75 Stunden pro Monat.
Beteiligungsportal: Neue Planungskultur
Evaluation Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeitsbeteiligung des Landes Baden-Württemberg (PDF)