Bürgerbeteiligung wird vorgeworfen, sozial selektiv zu sein. Gebildet, männlich, höheres Alter: So lautet oft der Vorwurf. Mit gelosten Teilnehmenden nach dem Gesetz über die Dialogische Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg und mit Videokonferenzen lässt sich das markant ändern:
- Mit dem Videoformat werden junge Familien, vor allem junge Mütter, erreicht. Zwischen Arbeit und Kinder versorgen ist es für Familien leichter, dass ein Elternteil an einer Bürgerbeteiligung mitmacht, wenn das nicht mit Anreise oder Ganztages-Terminen verbunden ist.
- Ferner sind Videokonferenzen für Menschen mit Handicaps deutlich angenehmer. Der Anteil von ausgelosten Teilnehmenden mit Handicap war bei den Präsenztreffen de facto null Prozent.
- Für junge Menschen ist dieses Format ebenfalls besser, weil niedrigschwelliger. Der Umgang mit Smartphone und Laptop fällt ihnen leicht.
- Alle Dienstleister beherrschen die Technik. Teilnehmende, die nicht technikaffin sind, erhalten Hilfestellung.
Für Ältere war Corona eine Zeitenwende: Ohne Videokonferenzen gab es keinen Kontakt zur Familie oder in den Freundeskreis. Ein Großteil der Seniorinnen und Senioren können mit dem Internet umgehen. Wenn sie dafür zu alt sind, stellen auch Präsenzveranstaltungen ein Problem für sie dar. Das Internet jedenfalls scheidet die Generationen nicht mehr.
Videokonferenzen senken die No-Show-Rate. Die oft zeitaufwendige Anreise entfällt. Termine lassen sich besser miteinander vereinbaren. Dies gilt zumindest für regionale oder landesweite Beteiligungsprozesse. Im kommunalen Kontext verhält sich das anders.
Videokonferenzen schaffen eine hohe und schnelle Vertrautheit zwischen den Teilnehmenden. Denn sie zeigen oft ihre Privatsphäre, ihr Wohnzimmer. Oder man sieht sie bei der Heimfahrt von der Arbeit im Zug. Oder bei der Bereitschaft in der Freiwilligen Feuerwehr. Solche Bilder sind viel wirkmächtiger als die tollsten Warm-ups.
Vor allem gibt es den zweiten Kanal: die Chat-Funktion. Das führt zu einer viel aktiveren Mitarbeit. Denn so wagen die Teilnehmenden viel eher, Expertinnen und Experten anzusprechen und nachzufragen. Fragen und Anmerkungen gehen nicht verloren.
Im Sinne der Dynamic Facilitation ist das Paraphrasieren online besser möglich. Die Zitate stehen schon im Chat. Mehr Wortlaut geht nicht. Das steigert die Selbstwirksamkeit. Und genau das kennen viele Menschen inzwischen von Facebook und Internet-Foren. Auch die digitale Pinnwand scheint online besser zu funktionieren. Offenbar fällt es leichter, etwas in die Tasten zu hauen als auf ein Flipchart oder eine Kartonkarte zu schreiben.
Referentinnen und Referenten sind beim Video-Format leichter zu gewinnen. Es gelingt es auch, hochrangigere Fachleute zu verpflichten, die aufgrund der Entfernung oder anderer Termine nicht die Zeit aufwenden können, eine Reise zu unternehmen.
Für einen auf Sparsamkeit ausgelegten Staat spielen die Kosten eine Rolle. Videokonferenzen sind preiswerter als Präsenzrunden.
Es wird immer schwieriger, Teilnehmende für längere Prozessen zu gewinnen. Termine am Wochenende und auch am Freitagabend werden immer unbeliebter. Videoformate helfen, neue Zeitslots auch unter der Woche zu finden. Der Donnerstagabend zum Beispiel ist dank Videokonferenz erst als beliebter Termin möglich geworden.
Die Dokumentation ist viel einfacher herzustellen. Die Vorträge und Diskussionen lassen sich mitschneiden und später online stellen. Das erhöht die Transparenz des Verfahrens. Mit Online-Tools lassen sich Gruppenarbeiten visualisieren und verschriftlichen. Sie sind sofort verfügbar und müssen nicht händisch von Karten abgeschrieben oder fotografiert werden.