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Interview

Mit Bürgerbeteiligung zum neuen Gefängnisstandort

Gisela Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung (Bild: © dpa)

Ein modellhaftes Beispiel für gelungene Bürgerbeteiligung ist der Standortsuchlauf für ein neues Gefängnis im südlichen Landesteil von Baden-Württemberg, gegen das es in den letzten Jahren teilweise Protest in den in Betracht kommenden Städten gegeben hat. Im Interview erläutert die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Gisela Erler, wie es gelang, mit Bürgerbeteiligung einen akzeptierten Standort für ein Gefängnis in Rottweil zu finden.

Beteiligungsportal: Frau Erler, über viele Jahre hinweg hat sich die Standortsuche für eine neue JVA schwierig gestaltet und war umstritten. Wie ist es gelungen dieses Verfahren zum Erfolg zu führen? 

Staatsrätin Erler: Das Land hat beim Suchlauf nach einem Standort zur Ansiedlung eines neuen Gefängnisses mit einem Dialogverfahren, parallel mit zwei Kommunen einen völlig neuartigen Weg beschritten. Wenn Sie so wollen, war es als Dialogwettbewerb angelegt. Zwei Kommunen, nämlich Meßstetten und Rottweil sind in die Endrunde gekommen. Gemeinsam mit den Verwaltungen und dem verantwortlichen Justizministerium wurden Themenfeldanalysen erstellt, bei denen auch die Formen der Bürgerbeteiligung vor Ort ein wichtiges Kriterium darstellten. Es war ein sehr lebendiger Prozess mit vielfältigen Formaten wie Bürgerinformationsveranstaltungen, Runden Tischen und vor Ort Aktionen. Dabei arbeiteten wir sehr eng mit den Kommunen und dem Justizministerium zusammen und standen diesen beratend und unterstützend zur Seite. Nach der Abwägung aller Fakten, auch der Akzeptanz durch die Bürgerschaft, haben wir uns in dem Dialogprozess für den Standort Esch in Rottweil entschieden.

Beteiligungsportal: Bürgerbeteiligung bei Infrastrukturvorhaben wie zum Beispiel einer JVA ist ja eine komplexe Angelegenheit, was waren die Erfolgsfaktoren dafür? 

Staatsrätin Erler: Kurz gesagt, im Kern ist es ein Dreischritt aus früher, verbindlicher und flexibler Beteiligung, wie wir sie auch in unserem Leitfaden für eine neue Planungskultur festgeschrieben haben. Früh heißt, am besten solange noch keine Pläne gezeichnet sind und es Spielräume für Verhandlungen und Ideen der Bürgerinnen und Bürger gibt. Und das bedeutet auch, früh beginnen, aber auf der Strecke nicht nachlassen. Flexibel bedeutet, dass es Bürgerbeteiligung nicht von der Stange gibt, sondern sie immer dem Projekt angepasst werden muss. Und verbindlich steht dafür, dass über den Umgang mit den Ergebnissen Rechenschaft abgelegt wird und dies nicht unter A in der Ablage verschwinden.

Beteiligungsportal: Der Dialogprozess in Rottweil ist ja auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie ergänzen. Wie haben sie das erlebt?

Staatsrätin Erler: Also das ist ja so eine Grundtonalität, dass die Menschen die Bürgerbeteiligung und die Direkte Demokratie oft verwechseln oder gar meinen, es wäre dasselbe. Uns ist es wichtig, einerseits den Unterschied deutlich zu machen, aber auch zu sagen, mitreden, mitmachen und mitentscheiden gehören zusammen, so wie es in Rottweil gelaufen ist. Bürger organisieren über ein Bürgerbegehren einen Bürgerentscheid und wir sorgen im Vorfeld, gemeinsam mit der Kommune dafür, dass eine vorgeschaltete informelle Bürgerbeteiligung stattfindet. So sind alle gut informiert und können zum Bürgerentscheid gehen. Mit einer neutral moderierten Begleitgruppe aus Gefängnisgegnern und Befürwortern, Verwaltung und Gemeinderäten gab es dialogische Veranstaltungen und eine Informationsbroschüre. Auf unserem Beteiligungsportal werden alle Informationen bereitgestellt und absolute Transparenz erzeugt. Das war mitentscheidend für das Ergebnis des Bürgerentscheids: Knapp 60 Prozent Zustimmung unter Erreichung des erforderlichen Quorums bei einer Wahlbeteiligung von fast 50 Prozent sprechen eine deutliche Sprache. Die Wahlbeteiligung von 48,5 Prozent lag dabei sogar knapp zwei Prozent höher als bei der letzten Gemeinderatswahl in 2014 (46,9 Prozent). Das ist für uns der Beweis dafür, dass vor Ort ein großes Interesse an dem Thema bestand und ein Ausdruck der hohen gesellschaftlichen Akzeptanz des Projekts vor Ort.

Beteiligungsportal: Lassen Sie uns noch ein wenig in ihren Werkzeugkasten der Beteiligung schauen, wie geht man ein Solch großes Verfahren methodisch an?

Staatsrätin Erler: Eins vorneweg, Bürgerbeteiligung ist mehr als nur das Bemalen bunter Kärtchen. Es ist ein sehr komplexes Kommunikationsprojekt, das neben Strategien- und Methodenkompetenz einfach einen langen Atem braucht. Wir setzen inzwischen als zentrales und systematisches Werkzeug die Themenfeld/ Standortanalyse nach Professor Brettschneider von der Universität Hohenheim ein. Das bedeutet, dass wir alle für die Entscheidung maßgebliche Kriterien und Argumente sammeln und veröffentlichen, bevor die Entscheidung fällt. Und wir haben die Meinungsführer und Multiplikatoren identifiziert, um zu wissen, wen man bei Besprechungen einladen muss. Dabei waren wir immer offen für Ergänzungsvorschläge. Damit schaffen wir sichtbare Klarheit und Transparenz, die dann auf unserem Beteiligungsportal eingestellt und veröffentlicht wird. Ein ganz entscheidender Faktor dafür, dass in Rottweil der Bürgerentscheid gewonnen wurde war, dass von Seiten des Landes ein Architektenwettbewerb für das neue Gefängnis ausgelobt wird und selbstverständlich auch wieder unter größtmöglicher Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern. Dies zeigt, dass die Bürgerbeteiligung nicht abgeschlossen ist sondern über den ganzen Prozess gelebt wird. Wichtig war aber auch, dass wir sehr oft, persönlich vor Ort dabei waren und dadurch eine gewisse Vertrauensbasis mit den Akteuren entstanden ist.