Der Wunsch nach Bürgerbeteiligung und -mitwirkung wächst, der regelmäßige Gang zur Wahlurne reicht längst nicht mehr aus. Bürger sein im 21. Jahrhundert bedeutet: mitreden und mitgestalten. In einer Gesellschaft, in der sich über 40 Prozent der Bürgerschaft aktiv, ehrenamtlich und bürgerschaftlich engagiert, sollten die Menschen mitreden können und an Entscheidungen in der eigenen Kommune beteiligt sein. Dies entspricht nicht nur einem demokratischen Grundverständnis von heute, sondern ist auch ein gutes Stück Wertschätzung und Anerkennung für die Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie.
Am Ende des Filder-Dialogs sollen Empfehlungen an die Projektpartner stehen – erarbeitet von offiziellen MandatsträgerInnen und per Zufallsverfahren ausgewählten BürgerInnen gemeinsam und im Dialog. Erreicht werden kann dieses Ziel, indem alle Prämissen und Gegebenheiten offengelegt, beraten und die Pro- und Contra-Argumente zu den sechs alternativen Trassen diskutiert werden. Neu ist dabei, dass dies in Form eines offenen Dialogs geschieht. Das heißt: keine Vorträge in unverständlichem Amtsdeutsch vom Podium herab, sondern Gespräche und Diskussionen in kleinen Gruppen. Zuhören und Nachfragen stehen im Vordergrund, um die Vor- und Nachteile der verschiedenen Varianten deutlicher zu machen. Diese moderierte Form des Dialogs sorgt auch für Transparenz im Verfahren und bei den Planungen. „Ziel ist natürlich, dass im Ergebnis möglichst Konsens über eine bestmögliche Variante erzielt wird“, hofft Staatsrätin Gisela Erler.
Die per Zufallsauswahl vorgeschlagenen BürgerInnen sollen eine repräsentative Mischung ergeben. Das heißt, dass die „Zufallsbürger“ hinsichtlich Alter und Geschlecht in etwa den tatsächlichen demografischen Gegebenheiten vor Ort entsprechen. In Frage kommt zudem nur, wer mit Hauptwohnsitz in der jeweiligen Fildergemeinde gemeldet ist.
Die Zufallsauswahl von TeilnehmerInnen soll „zufälligen“ Menschen, die über keinerlei spezielles Vorwissen oder spezielle Qualifikationen verfügen, Teilhabe und Partizipation ermöglichen. Die „Zufallsbürger“ vertreten keine Interessengruppen, sondern ihre persönliche Meinung.
Auftraggeber sind die Projektpartner von Stuttgart 21: die Deutsche Bahn AG, das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und der Flughafen Stuttgart. Sie haben am 24. Februar 2012 beschlossen, ein Dialogverfahren durchführen zu wollen, und einen Moderator mit der Durchführung beauftragt.
Beim Filder-Dialog handelt es sich um ein informelles Beteiligungsverfahren, das der formellen Bürgerbeteiligung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens vorangestellt wurde. Die Projektpartner und vor allem die Bauherrin Deutsche Bahn AG sind nicht dazu verpflichtet. Dabei geht es darum, verschiedene Trassenführungen gegeneinander abzuwägen – und nicht darum, eine ganz bestimmte Variante bis ins kleinste Detail zu untersuchen. Deshalb ist der Faktencheck hier kein geeignetes Verfahren. Auch eine Schlichtung (wie sie 2010 ja für das Gesamtprojekt Stuttgart 21 durchgeführt worden ist) kann den Diskurs nicht ermöglichen, der nun zwischen Projektpartnern, kommunalen Vertretern, Bürgerinitiativen, Verbänden und Bürgerschaft erreicht werden soll.
Am Ende des Dialogs stehen Empfehlungen an die Projektpartner. Die Projektpartner werden die Empfehlungen dann gemeinsam bewerten und beschließen, ob und inwiefern sie einzelne Empfehlungen bei der weiteren Planung berücksichtigen. Sie werden aber zu allen Empfehlungen Stellung nehmen, ihre Be- wie auch Missachtung also begründen.
Ein komplett ergebnisoffenes Verfahren ist nicht möglich. Denn zum Einen sind die Projektpartner durch Verträge an bestimmte Prämissen gebunden; diese können nur verändert werden, wenn dem alle Projektpartner zustimmen. Zum Beispiel sind sich alle Projektpartner einig, dass der Kostenrahmen von 4,526 Milliarden Euro für das Gesamtprojekt eingehalten werden muss. Zum Anderen ist planungsrechtlich wichtig, dass alle Varianten und Empfehlungen anschließend auch Chancen auf Genehmigung haben. Über alle wesentlichen, die Fildern betreffenden Prämissen werden die Teilnehmenden informiert.
Der Dialogprozess soll die Planungsprämissen veranschaulichen. Er soll die Vor- und Nachteile der beantragten und alternativer Trassen und andere Varianten in Form eines offenen Dialogs beleuchten, hinterfragen und beraten. Und er soll dadurch Transparenz über Verfahren und Planungen herstellen. Egal welche Trasse sich am Schluss des Dialogprozesses als konsensfähige Alternative anbietet: Die Projektpartner haben vorab vereinbart, deren Machbarkeit ernsthaft zu prüfen und zu allen am Ende des Dialogs ausgesprochenen Empfehlungen einzeln Stellung zu nehmen.