Neutralität bei Gerichten und Staatsanwaltschaften

Stellungnahme des Ministeriums

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Die Kommentare auf dem Beteiligungsportal lehnen den Gesetzentwurf zur Neutralität bei Gerichten und Staatsanwaltschaften des Landes größtenteils ab. Das zentrale Argument ist die befürchtete religiöse Diskriminierung. Weiterhin gibt es noch einen kritisch abwägenden und einen befürwortenden Kommentar. Nach Prüfung und Abwägung hat die Landesregierung aufgrund der Kommentare keinen Anlass für eine abweichende Gesamtbewertung oder für grundsätzliche Korrekturen an dem Entwurf gesehen.

Ergebnis der Kommentierung und Anhörung

Der Gesetzentwurf ist im Beteiligungsportal Baden-Württemberg vom 22. Februar bis 31. März 2017 veröffentlicht worden. In dieser Zeit sind insgesamt 14 Kommentare, davon 13 ohne Namensnennung, einer vom Aktionsbündnis Muslimischer Frauen e. V., eingegangen. Von diesen Stellungnahmen waren drei befürwortend, zehn ablehnend und eine kritisch beziehungsweise offen (Regelung sollte genau überlegt und geprüft werden).

In den befürwortenden Stellungnahmen wird im Wesentlichen ausgeführt, die Unabhängigkeit der Gerichte müsse sich auch beim äußeren Auftreten der Richter dokumentieren, die gebotene Neutralität verlange Respekt vor dem Amt, der Entwurf diskriminiere niemanden und es gebe im Koran kein Kopftuchgebot.

In den ablehnenden Stellungnahmen werden verschiedene verfassungsrechtliche, aber auch justiz- beziehungsweise gesellschaftspolitische Argumente angeführt, insbesondere

  • das Tragen religiöser Symbole beziehungsweise Kleidungsstücke beeinträchtige weder die Neutralität noch erwecke es den Anschein der Voreingenommenheit,
  • es fehle an konkreten Hinweisen, dass durch religiöse Symbole beziehungsweise Kleidungsstücke das Vertrauen der Bevölkerung beeinträchtigt werde,
  • ein pauschales Verbot sei auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig,
  • bei konkreten Zweifeln seien die bestehenden Regelungen über die Befangenheit ausreichend,
  • das Verbot habe desintegrative, ausgrenzende Wirkung und diskriminiere muslimische Frauen,
  • es liege eine unverhältnismäßige Einschränkung und unzulässige religiöse Diskriminierung bei der Berufszulassung und der Berufswahl vor, gerade auch im Referendarbereich,
  • es gebe kein Verfassungsgut „Neutralitätsanschein“.

In dem daneben durchgeführten Anhörungsverfahren sind insgesamt 30 Stellungnahmen eingegangen. Die angehörten Vertreter aus dem Justizbereich und den entsprechenden Verbänden haben dem Gesetzentwurf und seiner Zielsetzung im Grundsatz zugestimmt und keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben. Die Vertreter des religiösen Bereichs, vor allem seitens des Islam, haben den Gesetzentwurf demgegenüber als zu weitgehend kritisiert oder strikt abgelehnt. Die Ablehnungsgründe enthalten in wesentlichen Teilen auch die oben angeführten Argumente, die auch im Beteiligungsportal eingewandt worden sind.

Stellungnahme des Ministeriums der Justiz und für Europa

Sowohl die Stellungnahmen im Anhörungsverfahren als auch die Kommentare im Beteiligungsportal haben letztlich keine neuen Aspekte zu Tage gebracht. Bei der Vorbereitung des Anhörungsentwurfs hat die Landesregierung intensive Prüfungen und Abwägungen, auch unter Beteiligung der Justizpraxis, vorgenommen, deren Ergebnis im Einzelnen in der Gesetzesbegründung ausführlich dargestellt ist.

Hierbei sind die gegenläufigen verfassungsrechtlich geschützten Positionen, insbesondere die Religions-, Berufs- und Meinungsfreiheit einerseits und die rechtsstaatlich gebotene strikte Neutralität bei Gerichten und Staatsanwaltschaften andererseits, differenziert abgewogen worden. Die strikte Neutralität der Berufsrichter und Staatsanwälte sowie der entsprechende Aufgaben wahrnehmender Personen, etwa auch Rechtsreferendare, muss sich auch bei der Art ihres äußeren Auftretens mit Außenwirkung dokumentieren. Ein das Vertrauen der Rechtsuchenden beeinträchtigender Anschein einer Voreingenommenheit und fehlender Objektivität durch religiöse, weltanschauliche und politische Bekundungen muss vermieden werden.

Auch nach nochmaliger Prüfung und Abwägung hat die Landesregierung aufgrund der Kommentare keinen Anlass für eine abweichende Gesamtbewertung oder für grundsätzliche Korrekturen an dem Entwurf gesehen. Insbesondere liegt entgegen dem Vorbringen von islamischer Seite keine unverhältnismäßige Verletzung der Religions- oder der Berufsfreiheit vor. Das Verbot ist auf einen engen Personenkreis und auch bei diesem auf Amtshandlungen mit unmittelbaren Außenkontakten beschränkt. Mit diesen Einschränkungen ist das Verbot im Hinblick auf die besonderen rechtsstaatlichen Erfordernisse im Bereich der Rechtsprechung und zur Sicherung des Vertrauens der Rechtsuchenden in Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Justiz angemessen und zumutbar. Die konfligierenden Rechtspositionen sind in einen sachgerechten, schonenden Ausgleich gebracht, der auch dem Toleranzgebot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt. Dies gilt auch, soweit das Verbot bestimmte Amtshandlungen mit Außenkontakt im Referendarbereich erfasst; die Referendarausbildung wird hierdurch nicht wesentlich oder unzumutbar beeinträchtigt. Angesichts auch im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen wesentlicher Unterschiede zwischen den Bereichen der Schule und der Justiz schließen auch die für den Schulbereich ergangenen „Kopftuch-Entscheidungen“ des Bundesverfassungsgerichts für richterliche und staatsanwaltliche Amtshandlungen strengere Regelungen als im Schulbereich nicht aus.

Das Gesetz stellt auch keine vorurteilsgeprägte, den Islam diskriminierende Regelung dar. Erfasst werden religiös geprägte Symbole und Kleidungsstücke aller Religionen und außerdem auch alle sichtbaren politische Bekundungen, die ebenfalls das Vertrauen in die Neutralität und Unvoreingenommenheit der Gerichte und Staatsanwaltschaften in gleicher Weise beeinträchtigen.