Arbeitsgruppe „Wohnen und Arbeit“
- Zentrales Ziel ist, dass Menschen mit Behinderungen im allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können.
- Arbeitsplätze müssen individuell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet sein und schließen unterstützende Assistenzen ein. Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen sollen die notwendige Flexibilität in Bezug auf Pausen und Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitszeitmodell haben. Jede Arbeitsstelle soll individuell an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen mit Behinderungen angepasst werden (können).
- Für Menschen, die in ihrem Alltag beeinträchtigt sind, bedarf es einer individuellen Arbeitsassistenz und umfassender Barrierefreiheit. Wichtig ist, dass es Menschen gibt, die bei Bedarf anleiten und helfen können.
- Es muss darauf geachtet werden, dass der Übergang von Schule in den Beruf nicht automatisch einen Übergang in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) bedeutet.
- Für Menschen, die in Werkstätten arbeiten, muss es realistische Möglichkeiten zum Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt geben.
- Der Übergang von Schule in eine WfbM als Arbeitsort darf kein Automatismus sein.
- Auch in Werkstätten müssen leistungsgerechte Löhne bezahlt werden. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist wichtig, dass die erbrachte Arbeit auch gerecht entlohnt wird. Weil es hier keine eigene Zuständigkeit des Landes gibt, wäre gegebenenfalls eine Initiative auf Bundesebene zu prüfen.
- Die Öffnung der Werkstätten hin zum allgemeinen Arbeitsmarkt muss sichergestellt werden. Das Programm „Arbeit inklusiv“ muss entsprechend ausgerichtet werden.
- Sensibilisierung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber für die Belange der Menschen mit Behinderungen. Hierzu kann das peer-to-peer-Prinzip beitragen. (Beispiel: Annelie-Wellensiek-Zentrum für inklusive Bildung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, hier bringen sich qualifizierte Betroffene nach dem Prinzip „nicht ohne uns über uns“ in die Hochschullehre ein. Das Annelie-Wellensiek-Zentrum bietet darüber hinaus Veranstaltungen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber an.)
- Bundesweit wurden Ansprechstellen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber eingerichtet. In Baden-Württemberg hat diese Aufgabe der Integrationsfachdienst beim KVJS übernommen. Diese Beratungsangebote müssen bekannter gemacht werden.
- Die Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen im allgemeinen Arbeitsmarkt muss erhöht werden. Die Öffentliche Verwaltung muss die Fünf-Prozent-Quote erfüllen beziehungsweise übertreffen. Das Land muss seine Selbstverpflichtung, dieses Ziel zu übertreffen, einhalten.
- Bisher schaffen weniger als ein Prozent der Werkstattbeschäftigten einen Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Diese Quote muss höher werden. Auch Menschen die schwer mehrfach-behindert sind, müssen die Möglichkeit haben, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden.
- Menschen mit Behinderungen fehlt die Erfahrung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, ihnen werden faktisch keine Wahlmöglichkeiten bereitgestellt, um sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuprobieren und eigene Wünsche und Interessen auszuformulieren. Ängste davor, die Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht bewältigen zu können, stellen ein reales Problem dar. Diese Ängste müssen ernst genommen werden.
- Menschen mit Behinderung sollen die Möglichkeit haben, eine Ausbildung zu machen und anerkannte Nachweise über ihre Kenntnisse zu erhalten, die einem möglichen Arbeitgeber vorgelegt werden können.
- Es sind angemessene Ausbildungsformen für Menschen mit Behinderungen notwendig und in den Ausbildungssystemen zu verankern. Hier geht es um die Flexibilisierung des Zeitrahmens (zum Beispiel Teilzeitausbildungen) und um anerkannte Abschlüsse unterhalb des Facharbeiterniveaus (für die es dann auch entsprechende Nachweise und Zeugnisse geben muss). Das muss nicht nur für die Ausbildung im dualen System, sondern auch für schulische Ausbildungsgänge gelten.
- Die Einführung einer Ebene unter dem „Fachpraktiker“ muss geprüft werden. Gegebenenfalls soll das Land darauf hinwirken, dass die Berufsbildungsordnung (Bundeszuständigkeit) entsprechend angepasst wird.
- Teilzeitausbildung noch bekannter machen.
- Angemessene Ausbildungsformen für Menschen mit Behinderung suchen und diese zertifizierbar machen. Nötig ist eine angemessene Berufsausbildung für Menschen, die die Vollqualifikation nicht erreichen können.
- Ziel ist, nicht auf das selbstbestimmte Leben in der eigenen Wohnung verzichten zu müssen: Menschen mit Behinderungen/Pflegebedarf sollen nicht auf ihre eigene Wohnung /ihren Wohnraum verzichten müssen.
- Es muss mehr Wohnraum für Menschen mit Behinderungen geschaffen werden. Dabei ist zu beachten, dass es unterschiedliche Anforderungen gibt, die durch die Form der Behinderung bestimmt werden. Das kann auch bedeuten, dass nicht in allen Fällen eine umfassende Barrierefreiheit notwendig ist.
- Dabei stellt sich die Frage, wie mit dem Wohnungsbestand umgegangen werden soll und wie hier ein Höchstmaß an Barrierefreiheit erreicht werden kann. Es geht darum, innovative, bezahlbare Varianten zu schaffen, auch Denkmalbauten sind in den Fokus zu nehmen.
- Wohnen muss neu gedacht werden: Es bedarf vielfältiger Wohnformen, die das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungen – auch generationsübergreifend – unter einem Dach ermöglichen. Dazu soll Wohnraum flexibel gestaltet werden. Entsprechend der persönlichen Lebenslage sollen Leistungen buchbar sein, zum Beispiel die Inanspruchnahme einer häuslichen Pflege oder Assistenz.
- Es besteht ein Mangel an geeignetem Wohnraum für Menschen mit Behinderungen. Die Anzahl der barrierefreien und bezahlbaren Wohnungen muss erhöht werden. Deshalb soll nur barrierefreier Wohnraum staatlich subventioniert und öffentliche Grundstücke nur für barrierefreies Bauen zur Verfügung gestellt werden.
- Bedürfnisse unterschiedlicher Menschen sollen im Rahmen der Wohnraumoffensive abgebildet werden. Im Rahmen der Wohnraumoffensive sollen innovative Wohnformen, die bezahlbar und barrierearm sind, gefördert werden.
- Zukünftige Förderprogramme müssen zusätzlich das Förderkriterium der Inklusion enthalten.
- Ergänzung der sozialen Wohnraumförderung durch das Modell der ambulant betreuten Wohngemeinschaft, die von Seiten des SM gefördert wird.
- Die Definition von barrierefreiem Wohnraum ist nicht mehr zeitgemäß. Der Begriff der Barrierefreiheit muss praxisnah ausgelegt werden. Orientierung soll dabei sein, dass diese für die jeweilige Einzelperson bedarfsgerecht und bedarfsdeckend ist.
- Anforderungen hinsichtlich Barrierefreiheit müssen in der Landesbauordnung verankert und dann von Bauträgern umgesetzt werden. Auf Letztere hat das Land aber keinen direkten Einfluss.
- Mehrfamilienhäuser ab einer Wohnungsanzahl von vier Wohnungen sollen für die Mieterinnen und Mieter umfassende Barrierefreiheit bieten. Davon profitieren auch Seniorinnen und Senioren.
- Das Thema „Umfassende Barrierefreiheit“ muss dringend in die Ausbildung von Stadtplanerinnen und Stadtplaner sowie Architektinnen und Architekten aufgenommen werden. Dabei muss es neben der reinen Wissensvermittlung auch um die Vermittlung eines grundlegenden Verständnisses und einer inklusiven Haltung gehen.
Kommentare : zur Arbeitsgruppe „Wohnen und Arbeit“
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Bereich Arbeit
Die formulierten Ziele sind wünschenswert, jedoch aus meiner Sicht mittelfristig unerreichbar. Vor allem die Frage, wer für die Umsetzung der Ziele verantwortlich sein soll braucht eine schnelle Antwort: Leistungsträger sollen wirtschaftlich agieren, der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmerkt ist aber ohne hohe Kosten für die meisten Menschen
Die formulierten Ziele sind wünschenswert, jedoch aus meiner Sicht mittelfristig unerreichbar. Vor allem die Frage, wer für die Umsetzung der Ziele verantwortlich sein soll braucht eine schnelle Antwort: Leistungsträger sollen wirtschaftlich agieren, der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmerkt ist aber ohne hohe Kosten für die meisten Menschen mit Assistenzbedarf nicht langfristig machbar (soziale Integration in die neue Firma, wechselnde Anforderungen bewältigen können,...). Die Leistungsberechtigten haben Wunsch und Wahlrecht, wie aber bereits anklingt ist oft die Barriere auch in den Köpfen der Leistungsberechtigten hoch, wie soll die Motivation'/ das Zutrauen ind die eigenen Fähigkeiten zu diesem Schritt also entstehen? Die Leistungserbringer haben mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen, wer also soll konkret die Begleitung auf einem Arbeitsplatz leisten? Es gibt sicherlich ganz tolle Leuchtturmprojekte an denen der Übergang ganz wunderbar funktioniert hat, jedoch sind aus meiner Zeit hier verschiedene Dinge zu verknüpfen:
Das Ausbildungskonzept der Fachpraktiker muss bundesweit funktionieren. Ausgebildete Menschen mit Assistentbedarf können mit ihrem anerkannten Ausbildungszeugnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur dann Fuß fassen wenn die Firmen dazu bereit sind. Es handelt sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung die leider nicht nur Zielformulierungen braucht um zu gelingen.
Ausgleichs-Abgabe
Der Staat müsste die Ausgleichs-Abgabe so anheben, dass es für den Arbeit-Geber günstiger ist, einen Arbeits-Platz für einen Menschen mit Behinderung mit einem Assistenten einzurichten, als die Ausgleichs-Abgabe zu leisten.
Berufsvorbereitung für junge Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung
In der Akademie Himmelreich der Hofgut Himmelreich gGmbH in Kirchzarten gibt es seit 2007 die "Himmelreicher Berufsvorbereitung (BvB-Reha)" die junge Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung nach der Schule mit einer Vermittlungsquote von 78% in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis qualifiziert und vermittelt. Diese
In der Akademie Himmelreich der Hofgut Himmelreich gGmbH in Kirchzarten gibt es seit 2007 die "Himmelreicher Berufsvorbereitung (BvB-Reha)" die junge Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung nach der Schule mit einer Vermittlungsquote von 78% in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis qualifiziert und vermittelt.
Diese Maßnahme steht grundsätzlich für junge Menschen aus ganz Baden-Württemberg offen, aber häufig ist das flankierende "Wohnen in Gastfamilien" nicht finanziert bzw. es ist sehr kompliziert, das hinzubekommen. Das sollte geändert und vereinfacht werden, damit noch mehr junge Menschen wirklich und wirksam auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und nicht den Zwischenschritt über eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) gehen müssen.
Weitere Informationen dazu gibt es hier: https://hofgut-himmelreich.de/akademie/berufliche-bildung/
Behindertengerechte Wohnungen auch verpflichtend solchen Menschen zukommen lassen
Was ich hier im Landkreis Emmendingen schon mal sehr gut finde ist, dass Neubauten ab drei Parteien einen ebenerdigen Zugang haben müssen und außerdem min. eine Wohnung behindertengerecht ist. Leider werden diese Wohnungen nicht zwingend auch an behinderte Menschen vergeben. Dies sollte möglichst noch geregelt werden.
Anpassung Wohngeld während Umschulungsmasnahmen
Auch während einer krankheitsbedingten betrieblichen Umschulung durch die Rentenkasse sollte eine Inanspruchnahme von Wohngeld ermöglicht werden, da das Übergangsgeld allein die hohen Miet-/Unterhaltskosten nicht deckeln kann & eine Umschulung und der Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt so nur schwer realisierbar ist.
Wohnen
- evt. Einführung Barrierefreiheitskonzept wie in anderen Bundesländern
- Kontrollinstanz?
Ziele zu ungenau .... es fehlt die Maßnahmeebene
Die Ziele im Bereich Arbeiten sind sehr umfassend. Wirklich toll. Aber falls die Ziele nicht auf eine konkrete Maßnahmeebene heruntergebrochen werden, kann die viele schöne Arbeit einfach so verpuffen. Konkrete Maßnahmen versehen mit Personen die für deren Umsetzung verantwortlich sind, könnten helfen die vielen sehr guten Ziele zum Leben zu
Die Ziele im Bereich Arbeiten sind sehr umfassend. Wirklich toll.
Aber falls die Ziele nicht auf eine konkrete Maßnahmeebene heruntergebrochen werden, kann die viele schöne Arbeit einfach so verpuffen. Konkrete Maßnahmen versehen mit Personen die für deren Umsetzung verantwortlich sind, könnten helfen die vielen sehr guten Ziele zum Leben zu erwecken. Ist denn etwas in die Richtung noch geplant?
Welche Barrieren überwinden?
Alles sehr technisch orientiert - wie werden „innere Barrieren“ überwunden. Etwa in der Selbstbestimmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten?
Da sind die Barrieren nicht mit Rampen zu beheben - sondern mit Weiterbildung, Training und Elternarbeit.
Diese Barrieren sind im Kopf der Menschen, die mit Menschen mit Lernschwierigkeiten arbeiten
Alles sehr technisch orientiert - wie werden „innere Barrieren“ überwunden. Etwa in der Selbstbestimmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten?
Da sind die Barrieren nicht mit Rampen zu beheben - sondern mit Weiterbildung, Training und Elternarbeit.
Diese Barrieren sind im Kopf der Menschen, die mit Menschen mit Lernschwierigkeiten arbeiten und leben, sie „erziehen“ und dabei eigene Moralvorstellungen und ihr Menschenbild als Grundlage und Blaupause nutzen. Tagtäglich. In kleinsten Situationen wie der Wahl des TV-Programms oder der Essens- und Schlafzeiten.
Wie ist DAS im Aktionsplan berücksichtigt?
Neubauten
Verpflichtung der Barrierefreiheit bei Neubauten. Neubauten müssen ohne bauliche Barrieren gebaut werden
Budget für Arbeit ohne Ausbildung und Ausbildungsfähigkeit
Als Peer Berater von Menschen mit kognitiver Behinderung, die sich eine Festanstellung auf dem inklusiven Arbeitsmarkt wünschen, dafür aber einen zeitlich befristeten oder unbefristeten Eingliederungszuschuss für den potentiellen Arbeitgebenden benötigen, bin ich auf eine bahnbrechendes Urteil des Sozialgerichts Nürnberg von 2021 gestoßen:
Als Peer Berater von Menschen mit kognitiver Behinderung, die sich eine Festanstellung auf dem inklusiven Arbeitsmarkt wünschen, dafür aber einen zeitlich befristeten oder unbefristeten Eingliederungszuschuss für den potentiellen Arbeitgebenden benötigen, bin ich auf eine bahnbrechendes Urteil des Sozialgerichts Nürnberg von 2021 gestoßen:
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2021-N-42592
In dem Verfahren hatte ein Mensch mit kognitiver Einschränkung erfolgreich gegen die Ablehnung des zuständigen Trägers der EGH, ihm die über erfolgreiche lange Praktika und unbezahlte Arbeitserfahrungen in einem Kindergarten angebotene Festanstellung über ein Budget für Arbeit zu ermöglichen, geklagt.
Auszüge aus der Begründung:
"Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen eines Budgets für Arbeit.
Er ist mit einem GdB von 100 schwerbehindert und kann nach der sozialmedizinischen Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit vom 28.02.2018 nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden. Zugleich ist er werkstattfähig im Sinne von § 58 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, d.h. er ist gemeinschaftsfähig und nicht außerordentlich pflegebedürftig (BSG, Urteil vom 10. März 1994 - 7 RAr 22/93). Dies ergibt sich insbesondere aus der Stellungnahme seines Arbeitgebers vom 15.12.2017, wonach der Kläger als Mitarbeiter des Kindergartens voll integriert sei und dazu beigetragen habe, dass die Kindergartenkinder durch gelebte Inklusion Sozialverhalten, Toleranz und Umgang mit Menschen mit Behinderung erlernt hätten.
Der Kläger erbringt auch ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung. Zur Bejahung dieser Voraussetzung reicht es aus, wenn der behinderte Mensch irgendwie am Arbeitsauftrag mitwirken, d.h. an der Herstellung und Erbringung der Waren und Dienstleistungen durch nützliche Arbeit beteiligt werden kann, ohne sich oder andere zu gefährden. Das ist schon dann der Fall, wenn er bei einem oder mehreren Arbeitsvorgängen eingesetzt werden kann, die wiederholt anfallen. Eine solche Arbeitsleistung ist ausreichend, ohne dass es auf ein wirtschaftliches Verhältnis von Personalaufwand und Arbeitsergebnis im Sinne betriebswirtschaftlicher Erwägungen ankommt. Vielmehr ist jedes Minimum an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung ausreichend (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 07. Dezember 1983 - 7 RAr 73/82, juris-Rn. 23 ff). Es versteht sich unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention von selbst, dass die Verneinung der Werkstattfähigkeit nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist (so ausdrücklich Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 58 SGB IX, Stand: 15.01.2018, Rn. 33). Der Kläger erbringt unzweifelhaft eine Arbeitsleistung in diesem Sinne. Er arbeitet nunmehr seit Jahren in dem Kindergarten. Sein Arbeitgeber hat ausdrücklich bestätigt, dass er eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung erbringe und ihm deshalb auch das reguläre Beschäftigungsverhältnis angeboten habe. Der IFD beziffert die Leistungsminderung mit 85% - im Umkehrschluss ist der Kläger somit zu 15% leistungsfähig. Er hilft in der Einrichtung mit und übernimmt wertvolle Dienste, die nicht nur den betreuten Kindern, sondern auch seinen Kolleginnen und Kollegen zu Gute kommen. Die Tatsache, dass er fast die gesamte Dauer seiner Arbeitszeit auf eine Integrationshilfe angewiesen ist, steht dem nicht entgegen - wirtschaftliche Erwägungen dürfen keine Rolle spielen.
Der Bewilligung eines Budgets für Arbeit steht in diesem konkreten Einzelfall - abweichend vom Grundsatz - nicht entgegen, dass der Kläger zuvor keine berufsbildende Maßnahme durchlaufen hat. Der in § 61 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB IX aufgestellte Grundsatz, dass vor Bewilligung eines Budgets für Arbeit zunächst eine berufliche Bildungsmaßnahme durchlaufen werden muss, soll sicherstellen, dass die betroffene Personengruppe zunächst die notwendigen Fähigkeiten für die angestrebte Tätigkeit erwirbt. Von dieser Voraussetzung kann jedoch abgewichen werden, wenn der Mensch mit Behinderungen bereits über die für die in Aussicht genommene Beschäftigung erforderliche Leistungsfähigkeit verfügt, die er durch eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erworben hat (§ 58 Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz SGB IX). Nachdem, soweit ersichtlich, noch keine einschlägige Rechtsprechung zur genauen Auslegung dieser Ausnahmevorschrift existiert, legt das erkennende Gericht das Merkmal „Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“ weit aus. Es ist nach der Überzeugung der Kammer auf die erworbenen Fertigkeiten abzustellen, also insbesondere auf die Frage, ob der behinderte Mensch bereits über die erforderliche Leistungsfähigkeit verfügt, die er für die in Aussicht gestellte Beschäftigung benötigt. Es darf somit keine Rolle spielen, ob diese Fähigkeiten durch eine Bildungsmaßnahme, durch eine klassische sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt oder durch Praktika/ehrenamtliche Tätigkeiten erworben worden sind. Im Ergebnis kommt es auf die vorhandene „Berufserfahrung“ an und nicht auf eine formale Betrachtungsweise, um welche Art von Beschäftigung es sich rechtlich gehandelt hat bzw. ob es sich um eine entlohnte Tätigkeit gehandelt hat oder nicht. Der Gesetzgeber bezweckt mit der Ausnahmeregelung, dass die Notwendigkeit einer vorherigen beruflichen Bildung solchen Menschen mit Behinderungen nicht zuzumuten sei, die bereits erfolgreich eine berufliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeführt haben (BT Drs. 18/10523, S. 54). Der Kläger erfüllt die Ausnahmevorschrift, so dass ein Budget für Arbeit ausnahmsweise zu gewähren ist, auch wenn er nach dem Ende seiner Schulzeit noch keine reguläre Bildungsmaßnahme durchlaufen hat. Denn er hat seit 15.05.2017 durchgängig für 20 Std. pro Woche - also im selben Umfang wie jetzt im Beschäftigungsverhältnis - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Praktikum bzw. eine ehrenamtliche Tätigkeit ausgeführt, wobei er unmittelbar an seinem späteren Arbeitsplatz eingearbeitet worden ist und ihm alle Fertigkeiten vermittelt wurden, die er für die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung dort gebraucht hat. In diesem Setting findet er sich auch zurecht und er kann die ihm übertragenen Aufgaben ausführen, wenn seine Integrationshilfe ihn unterstützt. Somit verfügt er über die Fertigkeiten, die er in seinem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis benötigt. Es wäre unbillig, ihm nun eine berufliche Bildungsmaßnahme „aufzuzwingen“. Das Ermessen des Beklagten hinsichtlich der Anwendung der Ausnahmevorschrift ist „auf Null“ reduziert. Damit besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Bewilligung eines Budgets für Arbeit."
Diese Möglichkeit nichtausbildungsfähige Menschen mit Behinderung in Festanstellung zu bringen, sollte im Landesaktionsplan Erwähnung finden.
Mit freundlichen Grüßen Andreas Lapp-Zens, Zentrum selbstbestimmt Leben e.V. Stuttgart